Kriegsfenster mahnen

Bochumer Heimkehrerdankeskirche in unserer Pfarrei ist ein Gedenkort von nationalem Rang.

Kirchen sollen Hoffnung machen. Zwei Drittel der Kirchenfensterflächen in der Bochumer Heimkehrerdankeskirche jedoch zeigen Krieg pur. Das ganze Langschiff ist beiderseitig gerahmt von hoch liegenden farbigen Fenstern, die nichts anderes sind als eine „Straße des Krieges“. Nicht undenkbar ist, dass Einige aus dem Gotteshaus bedrückter herauskommen, als sie hinein gegangen sind.

Die Diskussion über das Bildprogramm, über die breite Darstellung der Kriegsschrecken wird es schon vor Einweihung der Kirche im Dezember 1958 gegeben haben. Sie trägt den Namen „Heilige Familie“ und erinnert an die Heimkehr der Familie Jesu aus Ägypten und die Heimkehr der zahlreichen Gefangenen aus den Lagern der Alliierten nach dem zweiten Weltkrieg. Etwas zu wenig erinnert sie an die ausländischen Zwangsarbeiter, die nicht mehr aus Bochum in ihre Heimat zurückkehren konnten, an die nur Gedenktafeln der Friedhöfe erinnern.

Der schlichte Hallenbau mit seinen rippenartigen Stützen und dazwischen liegenden hellen Klinkerflächen, mit anfänglich noch milchweißen Fenstern, mit flachem Satteldach, mit schlichten Lampen, mit ursprünglich grauer hoher Chorwand nur mit kleinem Kreuz glich eher einer Kriegsgefangenenlagerbaracke. Bewusst. Und er tut es heute noch. Spätere Generationen aber konnten Nüchternheit und Schlichtheit nur schwer aushalten und haben die Kirche figürlich und ornamental verschönert.

Warum ist man dem drastischen Bildkonzept des Kriegsheimkehrers und Künstlers Wilhelm de Graaff gefolgt? In den Fenstern sind, zwar stilisiert, aber bei genauem Hinschauen doch deutlich zu erkennen aufsteigende Bomber, Flugbahnen von Geschossen, Leuchtkugeln und „Christbäume“ zur Erhellung des Nachthimmels, brennende Dächer und Städte, Bombenteppiche, sinkende Schiffe, Kanonenrohre, explodierende Granaten, eine angedeutete Atombombe. Wer alles nicht sehen will, erkennt kräftige Farben und Formen mit latent aggressivem Unterton.

Warum wird das so real, so deutlich gezeigt? Weil damals der erst kurz zuvor überstandene Krieg genau so war. Weil es auch seither solche Kriege gibt. Und weil es sie wohl immer geben wird, wie der 24. Februar dieses Jahres in der Ukraine aufs Schlimmste bestätigt. Die Kirche mit ihren Kriegsfenstern ist ein Mahnmal. Dafür, dass sich das Grauen des Zweiten Weltkrieges nie mehr wiederholen möge. Wer der Meinung ist, eine solche Darstellung sei für die Gläubigen allzu hart, zeige zu viel Schlimmes, muss eingestehen: Alles ist nicht nur Vergangenheit. Die Befürchtungen bestätigen sich. Die Schlange des Krieges, der Lüge, der Propaganda, der Gewalt und des Mordens lebt noch.

Hoffnung macht das zuletzt hergestellte großflächige Chorfenster. In einem mächtigen schützenden Tropfen stimmen drei Jünglinge ihren Lobgesang an mitten im Feuerofen. Ihr Schützer ist der vierte Mann, ein Engel, im roten Feuer stehend. In seiner rechten Hand hält er eine Lanze, mit der er die Schlange des Lügens und Tötens niedersticht.

Der Bau der Bochumer Heimkehrerdankeskirche geht zurück auf Pfarrvikar August Halbe. Fünf Jahre war er im Ural in Kriegsgefangenschaft. Am Nikolaustag 1949 kehrte er aus russischem Lager zurück. Der Zug der Empfangenden am Heimatort zog am Elternhaus vorbei zur Kirche, um „Großer Gott“ anzustimmen. Neun Jahre später waren es 20 Kriegsheimkehrer, die 1958 in mitgebrachter Haftkleidung den ersten Spatenstich taten. Am 12. Dezember 1959 konsekrierte Bischof Dr. Franz Hengsbach aus Essen die neue Kirche. Radio Vatikan berichtete in zwölf Sprachen.

Das Gotteshaus mit seinen Kriegsfenstern, mit seiner Museumskrypta mit Alltags- und Kunstgegenständen von ehemaligen Kriegsgefangenen ist ein Gedenkort von nationalem Rang. Nach Halbes Intention soll es ein „lebendiger Dankaltar“ sein, ein Mahnmal gegen den Krieg, für den Frieden, für Aussöhnung. Vielleicht wird es heute wieder zu einem Wallfahrtsort, wo flehentliche Gebete um Beendigung der Kriege zum Himmel geschickt werden können. 50 Jahre lang, von 1960 bis 2009 gab es dort jeweils am Dreifaltigkeitssonntag den so genannten „Heimkehrerdankestag“, der zahlreiche ehemalige Kriegsheimkehrer in Bochum zusammenführte. Warum sollten und können nicht in unserem Jahrzehnt Kriegsflüchtlinge, vom Krieg direkt und indirekt Betroffene, Beterinnen und Beter für den Frieden diesen Gedenkort für ihre Bitten um Heimkehr in die Heimat, um Frieden in der Welt ausersehen.

Alfons Zimmer

Der Autor, Alfons Zimmer, ist Pastoralreferent und arbeitet seit fast 25 Jahren als Seelsorger in den Bochumer Justizvollzugsanstalten. Ende Juli 2022 geht er in den wohlverdienten Ruhestand.

 

Zuerst ist der Artikel in der Trierer Bistumszeitung Paulinus (Nr. 21 vom 22.05.2022) erschienen.

Drei Jünglinge im Feuerofen mit dem schützenden, kämpfende Engel oben links

Drei Jünglinge im Feuerofen mit dem schützenden, kämpfende Engel oben links | Bild: Alfons Zimmer

Straße des Krieges: Raketenwerfergeschosse, Stalinorgel

Straße des Krieges: Raketenwerfergeschosse, Stalinorgel | Bild: Alfons Zimmer

Straße des Krieges: Ballistische Kurven am Himmel

Straße des Krieges: Ballistische Kurven am Himmel | Bild: Alfons Zimmer

Straße des Krieges: explodierende Granaten

Straße des Krieges: explodierende Granaten | Bild: Alfons Zimmer

Hommage an Vikar Halbe: Priester im Sanitätsdienst unter Mantel der Madonna

Hommage an Vikar Halbe: Priester im Sanitätsdienst unter Mantel der Madonna | Bild: Alfons Zimmer

Passanten denken: eine Turnhalle? Die Heimkehrerdankeskirche ist einer Lagerbaracke nachempfunden.

Passanten denken: eine Turnhalle? Die Heimkehrerdankeskirche ist einer Lagerbaracke nachempfunden. | Bild: Alfons Zimmer